Herkunfts- und Migrationsgeschichte der Sinti und Roma

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Die Herkunft und Geschichte der Sinti und Roma war lange Zeit unklar. Da das Romanes, oder Romani, keine Schriftsprache war, gibt es keine schriftlichen Quellen über die eigene Geschichte. Schriftliche Überlieferungen stammen immer von Nicht-Sinti-und-Roma und sind häufig spekulativ oder durch Vorurteile und Missverständnisse geprägt. So behaupteten Gruppen von Roma, als sie nach Europa kamen, sie stammen aus Kleinägypten, wodurch lange Zeit angenommen wurde, die Roma würden ursprünglich aus Ägypten stammen. Tatsächlich ist damit aber keinesfalls Ägypten gemeint, sondern eine Region auf der Peleponnes, die auch Kleinägypten genannt wurde. Sinti und Roma pflegten eine mündliche Tradierung ihrer Geschichte von Generation zu Generation, was es erschwert, eine genaue Herkunfts- und Migrationsgeschichte zu schreiben.

Die Herkunft der Sinti und Roma lässt sich so vor allem aus der Sprache erschließen und gilt mittlerweile als gesichert. Im 18. und 19. Jahrhundert stellte sich bei sprachwissenschaftlichen Untersuchungen heraus, dass eine enge Verwandtschaft zwischen dem Romanes und dem altindischen Sanskrit besteht und die Roma vermutlich aus der indischen Region Punjab stammen.

Über die Hintergründe des Auszugs aus Indien kann nur spekuliert werden; wahrscheinlich kamen hier mehrere Faktoren zusammen: Kriege, Islamisierung, Verschleppung und Versklavung zwangen die Sinti und Roma, ihre Heimat zu verlassen und markierten den Beginn der Wanderungen Richtung Westen. Auch der Zeitpunkt, an dem die Roma ihre indische Heimat verlassen haben, ist nicht klar, aber es ist wahrscheinlich, dass schon vor dem 10. Jahrhundert Roma in Persien anzutreffen waren.

Der Prozess der Wanderungen zog sich über Jahrhunderte hin und ist auch bis heute noch nicht komplett abgeschlossen. Linguistische Untersuchungen lassen darauf schließen, dass sich die Roma über einen längeren Zeitraum in Persien und Armenien aufhielten, bevor sie nach Byzanz kamen. Die große Anzahl armenischer Wörter könnte allerdings auch dadurch erklärt werden, dass die Roma im Byzantinischen Reich mit der dort lebenden armenischen Minderheit in Kontakt kamen und armenische Wörter in ihren Sprachschatz aufnahmen. Als sicher gilt, dass die Sinti und Roma einen relativ langen Zeitraum im Byzantinischen Reich lebten und dort unter anderem als Schmiede, Korb- und Siebmacher oder Schlangenbeschwörer arbeiteten. Die erste Erwähnung von Sinti und Roma in Konstantinopel stammt aus dem Jahr 1068. Wahrscheinlich unter dem Druck der sich ausbreitenden Osmanen verließen Gruppen von Roma das Byzantinische Reich und zogen ab dem 14. Jahrhundert über den Balkan nach Mitteleuropa.

1348 wurden sie das erste Mal in Serbien erwähnt, etwas später auch in Moldawien, der Walachei und Böhmen. In Deutschland wurden die Sinti und Roma erstmals 1407 in Hildesheim urkundlich erwähnt und in den folgenden Jahren tauchten sie in allen Teilen Deutschlands in den Chroniken auf. 1417 kamen sie nach Magdeburg und Lübeck, 1418 nach Frankfurt/Main, 1419 nach Augsburg und in Regensburg wurden sie 1424 erwähnt. Wann die ersten Sinti und Roma nach Berlin kamen, kann nicht eindeutig nachvollzogen werden. Sie erzählten, dass sie Pilger seien und wurden, wie es damals üblich war, von der Bevölkerung unterstützt. Sie bekamen Geld, Lebensmittel und Futter für ihre Pferde. 1423 bekamen die Sinti und Roma von dem römisch-deutschen König und späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Sigismund einen Schutzbrief ausgestellt, der sie vor Übergriffen schützen sollte und ihnen ihre eigene Gerichtsbarkeit zugestand. Ein weiterer Schutzbrief von Papst Martin V. war wohl gefälscht.

Schon sehr bald allerdings begann die Ausgrenzung der Sinti und Roma. Für die einheimischen Handwerker waren sie eine unerwünschte Konkurrenz, der Kirche waren ihre Heilpraktiken verdächtig und das Wahrsagen galt als unchristliche Zauberei, für die Landesherren wiederum war es nicht hinnehmbar, dass die herumziehenden Romvölker nicht in die bestehende Ordnung passten und herrenlos waren. Zudem kam das Gerücht auf, sie würden für die Türken spionieren und sie würden die Pest verbreiten. Am Ende des Jahrhunderts veränderte sich die Situation für die Sinti und Roma gewaltig zum Negativen. Auf den Reichstagen in Lindau und Freiburg, 1496 und 1498, wurde der Schutzbrief König Sigismunds aufgehoben und die ‚Zigeuner‘ für vogelfrei erklärt. Jedermann konnte sie nun straffrei verfolgen und ermorden. In den darauffolgenden Jahrhunderten lebten Sinti und Roma nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa in Angst vor Verfolgung und widerwilliger Duldung. Zwischen 1500 und 1800 wurden 148 Zigeuneredikte in Deutschland erlassen, die sie völlig entrechteten und kriminalisierten. Ihnen wurden Kindesentführung, Kannibalismus, Betrug, Diebstahl und die Verbreitung von allerlei Plagen nachgesagt, die allzu oft Anlass zu gewalttätigen Pogromen in ganz Europa waren.

Erst im 18. Jahrhundert veränderte sich die Politik gegenüber den Sinti und Roma im Kontext humanitärer Ideen: nicht Verfolgung und Vertreibung, sondern Assimilation und Sesshaftmachung standen in Mittelpunkt. Da die Sinti und Roma nicht freiwillig umhergezogen waren, sondern immer auf der Flucht vor Aufenthaltsverboten, Verfolgung und Ermordung, hätte das eine gute Nachricht sein können. Doch es ging nicht nur um Sesshaftigkeit– die Identität der Roma sollte durch Assimilation ausgelöscht werden. Für die Sinti und Roma begann eine neue Zeit der Verfolgung. Die Pflege ihrer Kultur und Sprache wurde ihnen verboten und viele Kinder wurden ihren Familien weggenommen, um sie gar nicht erst an das ‚Zigeunerleben‘ zu gewöhnen. Seinen Höhepunkt erreichte der Antiziganismus in der Zeit des Nationalsozialismus, als über eine halbe Million Sinti und Roma in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden.

Literatur

  • Djurić, Rajko/Becken, Jörg/Bengsch, A. Bertolt: Ohne Heim – Ohne Grab – Die Geschichte der Roma und Sinti, Berlin 1996.
  • Fraser, Angus: The Gypsies, Oxfort/Cambridge 1993.
  • Gilsenbach, Reimar: Weltchronik der Zigeuner Bd.1, Frankfurt/Main 1994.
  • Hohmann, Joachim S.: Verfolgte ohne Heimat – Geschichte der Zigeuner in Deutschland, Frankfurt 1990.
  • Reemtsma, Katrin: Sinti und Roma – Geschichte, Kultur, Gegenwart, München 1996.
  • Schopf, Roland: Sinti, Roma und wir anderen, Münster 1994.
  • Wippermann, Wolfgang: Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland – Darstellung und Dokumente, Berlin 1993.

Internetquellen:

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